Digitalisierung: Das Ende der Arbeit? Science4Life Expertentalk mit Prof. Dr. Peter Holm

18. Februar 2019

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„Die Welt wird digital.“ Im Zuge des Phänomens der Digitalisierung hört man diese Phrase nicht selten. Gemeint ist damit, dass unser Leben zunehmend vom Analogen ins Digitale schwenkt: Wie wir kaufen, bezahlen, lesen, Musik hören und auch wie wir arbeiten. Über die durch die Digitalisierung entstandenen und noch bevorstehenden Veränderungen im Arbeitsalltag sprechen wir mit Prof. Dr. Peter Holm aus unserem Experten-Netzwerk.

Herr Professor Holm, die Digitalisierung unserer Gesellschaft hat selbstverständlich auch nicht vor der Arbeitswelt Halt gemacht und sie maßgeblich verändert. Gibt es Veränderungen durch die Digitalisierung, die insbesondere Gründer und Start-ups aus den High-Tech Bereichen betreffen?

Auf jeden Fall. Der technologische Wandel hat extreme und unvorhergesehene Auswirkungen auf verschiedenste Arbeitsplätze. Die neue, digitalisierte Arbeitswelt wird immer mehr von Netzwerken geprägt. Gleichzeitig wird es weniger vertragsbezogene Arbeiten geben. Stattdessen werden immer mehr Arbeitskräfte projektbezogen eingesetzt. Auch die Arbeit in heterogenen, internationalen Teams wird immer selbstverständlicher, was dann auch eine weltweite Kommunikation untereinander zur Folge hat. Es wird also weniger klassische Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Verhältnisse geben und stattdessen mehr Anstellungen auf Projektbasis. Für Start-ups wird es wichtig sein, sich immer wieder aufs Neue zu erfinden und einen ständigen Lernprozess zu durchlaufen. Auch deswegen ist es für Gründer essentiell, Loyalität und ein Zugehörigkeitsgefühl unter den Mitarbeitern zu erzeugen sowie zu vermitteln, warum die getane Arbeit Sinn ergibt.

Durch die Digitalisierung könnten ganze Arbeitszweige wegfallen, während andere Arbeiten erst durch diesen Trend entstanden sind. Welche Auswirkungen wird das auf den Arbeitsmarkt haben?

Für den US-amerikanischen Markt wird vorausgesagt, dass ungefähr 47 Prozent aller Tätigkeiten in Zukunft wegfallen werden. Das werden vor allem Jobs sein, die durch die voranschreitende Technologie automatisiert werden können, wie beispielsweise Bus- und LKW-Fahrer sowie Kassierer. Natürlich spielen in diesem Prozess auch Kunden eine Rolle. Ist es für mich wichtig, ob ich beim Einkaufen den Kontakt mit einer Person an der Kasse habe, oder will ich nur so schnell und einfach wie möglich bezahlen? Tätigkeiten, die ein großes Maß an Kreativität erfordern, wird es hingegen in absehbarer Zukunft noch geben. Dort, wo Flexibilität und Spontaneität gepaart mit Kreativität benötigt werden, sind menschliche Arbeitskräfte immer noch unabdinglich. Übrigens ist im letzten Jahr die Beschäftigungszahl in Deutschland trotz steigender Automatisierung und erhöhtem Einsatz von Robotik gestiegen. In vielen Betrieben werden sich die Beschäftigungen also stark verändern, aber nicht zwangsweise wegfallen.

Würden Sie also zum Beispiel Elon Musk widersprechen, der prognostiziert, dass in der Zukunft aufgrund voranschreitender Automatisierung und dem Wegfall vieler Arbeitsplätze ein universelles Grundeinkommen eingeführt werden müsse?

In Finnland hat man diesen Vorschlag schon in einer Studie getestet, bei der 2.000 Personen über zwei Jahre hinweg 560 Euro bedingungsloses Basiseinkommen erhalten haben. Die finnische Regierung hat das Projekt jetzt jedoch beendet und will andere Lösungsansätze erforschen. Für dieses System spricht, dass man die gesellschaftlichen Folgen des digitalen Wandels in der Arbeitswelt auffangen und damit viel Bürokratie vermeiden könnte. Schwierig wäre natürlich die Finanzierung eines solchen Plans und der Umwurf des jetzigen Sozialsystems, für das jahrelang in Deutschland gekämpft wurde. Ich persönlich denke, ein Grundeinkommen sollte nicht bedingungslos, sondern stärker individualisiert sein.
Aber noch viel wichtiger finde ich: Man muss den Leuten klarmachen, dass sie neue Kompetenzen erlernen müssen, um auf dem Arbeitsmarkt relevant zu bleiben.

Welche Kompetenzen sind das?

Einerseits wird der Umgang mit IT und Technologielösungen immer selbstverständlicher. Auch das Arbeiten mit riesigen Datenmengen, „Big Data“, gewinnt an Relevanz. Dabei ist es natürlich auch wichtig, wie der Einzelne mit Komplexität umgeht. Kann ich Wesentliches vom weniger Wesentlichen unterscheiden und Informationen schnell und komprimiert zusammentragen? Auch die Kundenorientierung in vielen Unternehmen nimmt langsam aber sicher immer größere Dimensionen an und dieser Trend wird sich auch in Zukunft bestätigen.

Gibt es auch Soft Skills, die immer wichtiger werden?

Typische hierarchische Strukturen fallen langsam aber sicher in vielen Unternehmen ab, was eigenverantwortliches Handeln nicht nur in Führungspositionen immer wichtiger macht. Gleichzeitig verlangt dieser Trend Arbeitnehmern und -gebern neue soziale Kompetenzen ab, weswegen emotionale Intelligenz ebenfalls eine immer größere Rolle spielt. Verschiedene Emotionen und Charakterzüge sind die vielleicht größten Alleinstellungsmerkmale eines Menschen und der Umgang mit diesen – um einen Bogen zum Thema Automatisierung und Robotisierung zu schlagen – kann von Maschinen bisher nicht repliziert und nur schwer erlernt werden. Mit einer verständlichen Kommunikation, Empathie und kulturellem Denken kann man sich also positiv von anderen Wettbewerbern abheben.

Stress am Arbeitsplatz ist ein wachsendes Problem in Deutschland. Hat die Digitalisierung etwas damit zu tun?

Ein großes Problem ist natürlich die permanente Erreichbarkeit, die heute herrscht und die damit einhergehende Erwartungshaltung von anderen Menschen, Kunden und Mitarbeitern. Die Menge an Nachrichten, die man über verschiedene Channels bekommt, nimmt stetig zu und jedem mit einer schnellen Antwort gerecht werden zu müssen, kann belastend sein. Firmen wie VW gehen inzwischen sogar gezielt dagegen vor und sperren die E-Mail-Adressen von Mitarbeitern, die um Urlaub sind, um diesen Stress zu reduzieren.

Haben sich insbesondere für High-Tech Start-ups durch die Digitalisierung entstandene Chancen aufgetan, die es zuvor noch nicht gab?

Absolut. Ein gutes Beispiel ist die 2012 gegründete Firma Thermondo, die sich auf den Austausch und die Installation von umweltfreundlichen Heizsystemen spezialisiert hat.
Durch einen Online-Fragenkatalog erkennt Thermondo, welches Heizungsmodell ein Kunde braucht und kann damit den Besuch eines Technikers umgehen. Mit dieser digitalen Belegung der Kundenschnittstelle ist das Unternehmen zum größten Heizungsinstallateur Deutschlands geworden. An diesem Beispiel ist schön zu sehen, dass in vielen traditionellen Unternehmen schlicht und ergreifend ein Mangel an digitalem Know-how herrscht – insbesondere in der Führung. In Deutschland wird oftmals an alten Strukturen festgehalten, was fehlende Flexibilität in der Denkweise zur Folge hat. Für Start-ups ohne starre Strukturen und Kulturen ist das natürlich eine riesige Chance.

Was müssen Start-ups beachten, um diese Chance auch zu nutzen?

Sie müssen ein gutes und motiviertes Team aufbauen und sich klar auf den Zielmarkt fokussieren. Außerdem muss gerade bei High-Tech Start-ups das Produkt so transparent wie möglich und letztlich schlicht und einfach besser als das der Konkurrenz sein.


Über Prof. Dr. Peter Holm:
Seit 2016 ist Peter Holm als Professor an der hessischen Provadis Hochschule angestellt, wo er vor allem Supply Chain Management und Logistik lehrt. Zu seinen fachlichen Interessensgebieten zählen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Zudem gehört Professor Holm zum Experten-Netzwerk von Science4Life.

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