14.06.2021

Failure-Interview: Was war Ihr größter Fehler mit AlcaSynn, Herr Dr. Dr. Peter Kayatz?

In aller Kürze: Was waren Geschäftsmodell und Vision von AlcaSynn Pharmaceuticals?

AlcaSynn war ein Spin-off der Universität Innsbruck im Bereich der Medizinalchemie der Morphinane. Morphinane sind Substanzen, die dem Morphin strukturverwandt sind. Ziel war es, ein Schmerzmedikament zu entwickeln, welches stärker wirksam als Morphin, aber weitgehend frei von den für Morphin typischen Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit oder Verwirrtheit ist. Kommerzialisiert werden sollte die Entwicklung über das klassische Biotech-Geschäftsmodell: Entwicklung der Substanz bis zum Abschluss der klinischen Phase IIa, gefolgt von einer Auslizenzierung an BigPharma gegen Downpayments, Milestonepayments und Royalties.

Wie ging es nach der Gründung weiter? Was waren die bedeutendsten Momente in der Unternehmensgeschichte?

Einer der bedeutendsten Momente war sicherlich noch vor der Gründung als GmbH, als wir 2003 als erstes und vermutlich einziges österreichisches Team den Scienc4Life Venture Cup gewinnen konnten. Da "meine" drei Wissenschaftler auf einem wissenschaftlichen Kongress in Frankreich waren, war ich alleine in Frankfurt bei der Prämierung und Österreichs extra angereiste Handelsdelegierte wunderte sich beim Pressetermin nicht wenig, dass ich als geborener Leverkusener eher Kölsch als Tirolerisch sprach.

Wann und was war der Höhepunkt in der Geschichte von AlcaSynn?

Der Höhepunkt der AlcaSynn war zwei Jahre nach Gründung der GmbH erreicht, als wir im Sommer 2006 die börsennotierte Wiener Sanochemia Pharmazeutika AG als strategischen Partner gewinnen konnten. Zwar kostete der 12 Millionen Euro Deal in Form einer Abtretung von Anteilen, gemischt mit einer Kapitalerhöhung, die Mehrheit der Anteile (60 % für Sanochemia), aber dafür war scheinbar die Finanzierung der Entwicklung des ersten Entwicklungskandidaten bis zur Phase IIa gesichert. Es gab viel Medienberichterstattung: TV, Radio, Zeitung, viele Politiker, eine professionell organisierte Pressekonferenz mit viel Prominenz und tolle Bilder, die ich noch heute gerne ansehe. Tut der Seele doch gut, wenn man ehrlich ist.

Was war Ihr größter Fehler? Wäre er vermeidbar gewesen?

Mein größter Fehler war es wohl, den Einfluss der kulturellen Unterschiede zwischen Academia und Business auf den Erfolg eines Unternehmens unterschätzt zu haben. Daraus folgte dann der zweite Fehler, der unzureichenden Kommunikation mit dem Gründerteam über die persönlichen Ziele der einzelnen Teammitglieder, die sie mit dem Unternehmen erreichen wollen. Ohne, aus verständlichen Gründen, zu sehr ins Detail zu gehen, möchte ich einfach mal exemplarisch mögliche Interessen aufzählen, die Teammitglieder bei der Ausgründung eines Start-ups aus der Academia gehabt haben könnten:
  1. Ich möchte jetzt ein paar Jahre hart arbeiten, damit ich später soviel Geld habe, dass ich mich frühzeitig zur Ruhe setzen kann.
  2. Ich weiß, dass das Molekül Milliarden wert ist und will mich gleich zur Ruhe setzen.
  3. Ich möchte meine akademische Arbeit dadurch beflügeln, dass ich über ein eigens gegründetes Start-up Fördermittel erhalten kann, die nur in Kombination mit einem SME fließen.
  4. Ich möchte berühmt werden.
  5. Ich möchte Chef sein können.
  6. Ich finde Firmenauto, -kreditkarte und -reisen gut.
  7. Ich finde Titel mit "C" klasse (CEO, CFO, CSO, COO etc.).
  8. Ich denke, dass die Labore in Unternehmen deutlich luxuriöser sind als die an der Uni.

Diese Liste kann sicherlich jeder, der jemals Mitglied eines akademischen Gründerteams war, ad infinitum ergänzen.

In einer frühen Phase wäre möglicherweise noch eine entsprechende Angleichung der Interessen und Ziele oder zumindest der Erwartungen diesbezüglich möglich gewesen. Wenn man dann feststellt, dass die erwarteten Ergebnisse sich nicht oder nur unter Aufbietung großer Mühen einstellen, steigt der Frust doch sehr an. Das Aufeinanderprallen nicht ausgesprochener Erwartungshaltungen führt zu unschönen emotional geführten Diskussionen. Dann ist es sehr schwer, das Ruder noch mal herumzureißen. Hinzu kommt, dass ich nach meinem Biologiestudium in einer, wenn auch kleinen, aber doch in Bezug auf Werte und Kultur klassischen Unternehmensberatung sozialisiert wurde. Das heißt, dass es klare Verantwortungsbereiche, Prozesse und Anweisungen gab; dass überdurchschnittliche Leistung und Duldsamkeit einfach vorausgesetzt und "reportet" wurden. Ich kam dann als Externer ins Team, um dieses "zum Sieg zu führen". Da prallen dann schon mal preußische und bajuwarisch/habsburgische Mentalitäten aufeinander. Und ich kann nicht von mir behaupten, dass ich da einen Kantersieg wie 1866 in Königgrätz davon getragen hätte (lacht).

Als Sie zum ersten Mal bemerkt haben, dass etwas nicht so läuft wie geplant – wie ist Ihr Team damit umgegangen?

Es kam dann recht schnell zu einer "Frontenbildung". Ich bin mir sicher, dass jedes einzelne Teammitglied eine eigene implizite Agenda hatte, aber wie in der Politik auch, tun sich dann Fraktionen mit kompatiblen Interessen zu Koalitionen zusammen. Die Koalitionen sind zum einen dauerhafter Natur – sozusagen "natürliche Koalitionspartner" – können zum anderen aber in Bezug auf unterschiedliche Themenfelder aufbrechen und wechseln. Ich persönlich habe einerseits versucht, mich streng an meine Aufgaben und Verantwortlichkeiten als Geschäftsführer zu halten, wie sie im GmbH-Gesetz und in der Verfassung des Unternehmens festgeschrieben sind. Andererseits habe ich versucht, den Interessen der einzelnen Player weitgehend nachzukommen. Das klingt allerdings vernünftiger, als es ist. Denn es führt zu einer Ineffizienz, da nicht an einem Strang gezogen wird und die Unzufriedenheiten der Beteiligten nicht wirklich gelindert werden, da die gemachten Kompromisse meist nicht als ausreichend bewertet werden.

Sie sind nun Teil des Science4Life-Expertennetzwerk und geben Ihre Erfahrung als Coach weiter. Wie helfen Ihnen gerade die negativen Erfahrungen dabei?

Wenn ich als Coach mit einem Team arbeite, führe ich, wenn möglich, zu Beginn eine Art "Tiefeninterview" mit jedem Teammitglied. Hierbei versuche ich, in die tieferen Schichten der Persönlichkeit einzudringen, um zu verstehen, wie die Person tickt und welche persönlichen Ziele sie im Zusammenhang mit dem Start-up verfolgt. Das klingt esoterischer als es eigentlich daherkommt. Gerne ca. zwei Stunden im Café bei Kaffee und Hörnchen. Wenn die Ziele der Teammitglieder zu sehr voneinander abweichen, so ist das im Team offen anzusprechen. Weiter erlaubt es mir herauszubekommen, auf welche Befindlichkeiten ich als Coach im Umgang mit dem Team und den Einzelnen achten muss. Und nicht zuletzt hat das Ergebnis der Gespräche ggf. auch Einfluss auf die unternehmerische Strategie des Start-ups. Um ein einfaches Beispiel zu nennen: wenn ich ein recht homogenes Team von Gründern habe, die eine geregelten Tagesablauf, Urlaub, Familie und die Verbundenheit mit ihrem Heimatort hoch auf der Prioritätenliste ansiedeln, so brauchen wir keine Unternehmensentwicklung zu planen, die die Einwerbung von Risikokapital voraussetzt. So ein Team wird keinen VC-Investor finden, und wenn doch, werden entweder der VC oder das Team sehr unzufrieden werden, vermutlich aber beide.

Welches zentrale Learning würden Sie am liebsten an jeden Gründer weitergeben?

Nicht frei, sondern wörtlich nach Schiller: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet! Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.“

Bitte erzählen Sie uns noch kurz etwas über sich!

Jahrgang 1966, bin ich in Leverkusen aufgewachsen und habe in Köln, Düsseldorf und Aachen Biologie mit dem Schwerpunkt Biochemie studiert. Nach meiner Promotion war ich in Berlin und München für eine auf Start-ups spezialisierte Unternehmensberatung tätig. Im Jahr 2002 kam ich nach Tirol, wo ich heute noch lebe. Von 2004 bis 2008 hatte ich die Geschäftsführung der AlcaSynn inne. Seit 2008 unterstütze ich unter meiner Marke "Waterbergh" Gründer innovativer Hightech-Unternehmen von der Ausgründung bis zum Verkauf des Unternehmens.

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02.12.2024

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Teilnahmerekord in der Ideenphase: Das sind die besten Geschäftsideen aus 142 Einreichungen

25.11.2024

Die Gewinner der Ideenphase stehen fest! Aus einer Rekordzahl von 142 eingereichten Ideen aus Life Sciences, Chemie und Energie setzten sich die Gewinnerteams mit innovativen Ansätzen für die Zukunft durch. In der Ideenphase des Science4Life Venture Cup gewinnen Blueprint Biomed, CiX, EpiCure, Phos4nova und Plantman. Beim Science4Life Energy Cup gewinnen FF Frontier Fuels, Radiant Systems und WeldNova – und diese Ideen stecken hinter den Namen. Am vergangenen Freitag erreichte die 27. Wettbewerbsrunde von Science4Life ihren ersten Höhepunkt: Die besten Geschäftsideen aus Life Sciences, Chemie und Energie wurden bei der Ideenprämierung online ausgezeichnet. Neben den Gewinnerteams gab es auch einen Rekord zu feiern, denn mit 142 Einreichungen gab es so viele Teilnehmer wie noch nie. Der Pioniergeist der teilnehmenden Teams zeigt sich allerdings nicht nur quantitativ – auch die Lösungsansätze verdeutlichen, wie sehr sich Start-ups der zentralen Herausforderungen der aktuellen Zeit bewusst sind. Die Geschäftsideen im Science4Life Venture Cup befassen sich unter anderem mit neuen Therapieansätzen für Krankheiten, innovativen Lösungen für die Schadstoffentfernung aus Wasser, einer App für blinde Menschen oder Maschinen für eine klimafreundlichere Landwirtschaft. Die Teilnehmer des Science4Life Energy Cup beantworten Fragen der Elektromobilität, liefern ein Konzept für neuartige Wärmepumpen oder nachhaltigere Biotreibstoffe für die Schifffahrt. Austausch und Learnings beim digitalen Academy Day Bevor die Sieger verkündet wurden, hatten die zehn besten Teams aus den Bereichen Life Sciences und Chemie sowie die fünf besten Teams aus der Energiebranche die Möglichkeit, ihr Wissen beim digitalen Academy Day zu erweitern. Hier wurden die Teams in praxisorientierten Coachings und einzelnen Workshops zu den Themen Finanzierung, Marketing, Recht und Patent gecoacht. Eine wertvolle Gelegenheit, die Idee zu schärfen und sich frühzeitig auf den Markt vorzubereiten. Am Abend wurden dann die Gewinner bekanntgegeben: Die Gewinner des Science4Life Venture Cup Blueprint Biomed aus Berlin ist ein EXIST gefördertes Team am BIH der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Das Team entwickelt resorbierbare Biomaterialimplantate, die effektiv und sicher die körpereigenen Regenerationsmechanismen aktivieren – ohne den Zusatz von Gewebe, Zellen oder Wachstumsfaktoren. Blueprint Biomed blickt auf über 10 Jahre Forschung zurück und bietet damit eine effizientere und patientenfreundlichere Lösung zu bestehenden Behandlungsansätzen von Knochendefekten. CiX aus Erlangen produziert anschlussfertige Wasserreinigungsmodule zur Schadstoffentfernung. Die Idee kam dem Team parallel zu Promotionsarbeiten an der Universität, als es an der Optimierung von Diamantelektroden forschte. Das System kann mit Strom effektiv und bedarfsgerecht unter anderem Medikamentenrückstände, Bakterien und PFAS, ein weitverbreitetes Umweltgift, aus Wasser entfernen – vor Ort und ohne Chemikalienzugabe. Bisherige Blutkrebs-Medikamente scheitern häufig an Resistenzbildung, geringer Wirksamkeit und starken Nebenwirkungen. Der Wirkstoff Carbacitabin von EpiCure aus München greift gezielt in gestörte epigenetische Mechanismen ein und überwindet diese Limitierungen. Die präklinischen Daten belegen: Das Team kann Blutkrebspatienten Stand jetzt eine effektive und äußerst gut verträgliche Therapieoption bieten. Phos4nova aus Enschede entwickelt einzigartige Polymere, die ein inhärentes Signal in der medizinischen Bildgebung generieren. Die bioabbaubare Technologie ist zum Patent angemeldet und ermöglicht es, die Nutzung schwermetallhaltiger Kontrastmittel zu vermeiden – das ebnet den Weg zu neuen Nano- und Biomaterialien. Inspiriert von der bemerkenswerten Widerstandsfähigkeit von Pflanzen gegen schädliche Proteinaggregate hat Plantman aus Köln ein Pflanzenprotein identifiziert, das das Potenzial hat, die mit der Huntington-Krankheit verbundenen toxischen Proteine zu unterdrücken. Dieser innovative therapeutische Ansatz verspricht erstmals eine Heilung der Huntington-Krankheit und gibt den betroffenen Patienten Hoffnung. Das sind Gewinner der Ideenphase des Science4Life Energy Cup Die FF Frontier Fuels GmbH entwickelt innovative Biotreibstoffe für die Schifffahrt, die auf industriellen Reststoffen basieren und sowohl kostengünstiger als auch nachhaltiger als bestehende Alternativen sind. Solaranlagen auf Mehrfamilienhäusern scheitern an ihrer administrativen und rechtlichen Komplexität. Mit ihrem Solarstrom-Verteiler löst Radiant aus Konstanz dieses Problem an der technischen Wurzel und macht Solaranlagen auf Mehrfamilienhäusern so einfach wie auf Einfamilienhäusern - ganz ohne Mieterstrom oder Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung (GGV). Die WeldNova GmbH aus Berlin entwickelt eine elektromagnetische Badstütze für die produzierende Industrie. Diese ermöglicht erstmals den Einsatz des Laserstrahlschweißens beim Schweißen dicker Bleche. Damit kann die Produktivität des Schweißprozesses bei großen Stahlkonstruktionen um den Faktor zehn gesteigert und die Kosten um bis zu 90 Prozent gesenkt werden. Start der Konzeptphase: Einsendeschluss im Januar Ab sofort beginnt die Konzeptphase von Science4Life und dein Start-up kann dabei sein – meldet euch einfach bis einschließlich 20. Januar 2025 online unter www.science4life.de an und reicht euer Geschäftskonzept in Form eines Read Deck ein. Teilnehmen könnt ihr sowohl, wenn ihr schon bei der Ideenphase dabei wart, als auch als Neueinsteiger. Ihr bekommt Zugang zum Science4Life-Netzwerk, Feedback von Branchenexperten sowie die Chance auf Preisgeld und die Teilnahme vor Ort an den zweitägigen Academy Days der Konzeptphase. Wir freuen uns auf eure Konzepte!

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Warum der Aufbau einer Unternehmenskultur für Start-ups essentiell ist

18.10.2024

Prototypen fertigstellen, Investoren finden, Sales-Funnels aufbauen – die Prioritäten bei der Gründung der meisten Start-ups sind ähnlich, und das aus gutem Grund. Doch sobald ein junges Unternehmen beginnt, seine ersten Mitarbeiter einzustellen, eröffnen sich neue Herausforderungen. Eine solche Herausforderung ist das Schaffen einer Unternehmenskultur. Eine gute Unternehmenskultur ist die Basis dafür, Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten, meint Kim Hampel – Operational Excellence Manager für die Biotest AG. Im Science4Life-Interview verrät er, wie Start-ups mit diesem Thema umgehen können und wo die Unterschiede zu etablierten Unternehmen liegen. Was bedeutet „Unternehmenskultur“? Was beinhaltet sie und wie wird sie definiert? Ich denke, es ist sinnvoll, sich zuerst mit dem Begriff „Kultur" vertraut zu machen, bevor man sich mit „Unternehmenskultur" auseinandersetzt. Der Begriff „Kultur" ist meines Erachtens nicht trivial und wird zudem unterschiedlich definiert. Die Definitionen zum Begriff haben jedoch gemeinsam, dass Meinungen, Ansichten oder Haltungen beschrieben werden, die zu einem Verhalten führen, das sich über längere Zeiträume bewährt hat. Ein Beispiel dafür ist der Respekt vor Hierarchien und älteren Personen in China, Indien oder Japan. In ähnlichen Regionen wird zudem zumeist nur indirekt kommuniziert, da nicht erwünscht ist, dass man seine Meinung direkt kundtut und widerspricht, während in z.B. Amerika direkte Kommunikation und die aktive Beteiligung an Diskussionen gewünscht ist. Kulturen entwickeln sich nicht ad hoc, sondern unterliegen Zyklen sowie politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Es wird auch beschrieben, dass Ansichten und Verhaltensweisen bei Generationsübergängen weitergegeben werden. Vielleicht erkennt der ein oder andere selbst, dass manche Haltungen und Verhaltensweisen zumeist angenommen und akzeptiert werden, da subjektiv gesehen initial ein „funktionierendes System" wahrgenommen wird. Ich möchte damit jedoch keinesfalls sagen, dass wir nicht in der Lage sind, Haltungen oder Verhaltensweisen zu hinterfragen. Allerdings dürfte es vielen bekannt vorkommen, dass in bestehenden Unternehmen gewisse Haltungen und Ansichten aufgrund etablierter Prozesse und Strukturen zumeist akzeptiert und übernommen werden. Um den Begriff "Kultur" noch etwas greifbarer und messbarer zu machen, wurden durch Hofstede unterschiedliche Kultureigenschaften geprägt. Bei den Kultureigenschaften handelt es sich um "Machtdistanz" [1.], die Ausprägung des "Individualismus" (Teamgedanke) [2.], ob der Umgang innerhalb des Kulturkreises "feminin" oder "maskulin" geprägt ist [3.], die Ausprägung der "Langfristorientierung" [4.], die "Unsicherheitsvermeidung" [5.] oder des "Genusses" bzw. "Verzichtes" [6.]. Die Kultureigenschaften sind durchaus auf die eigene Unternehmenskultur übertragbar und können dabei helfen, eigene Haltungen und Ansichten sowie die der Unternehmensorganisation zu reflektieren. Klassisches Unternehmen vs. Start-up: Welchen Stellenwert hat die Unternehmenskultur? Der Begriff Kultur hat für ein Unternehmen, sei es ein Start-up oder ein bestehendes Unternehmen, zunächst keinen wichtigen Stellenwert per se, vorausgesetzt die Prozesse und Strukturen im Unternehmen greifen reibungslos ineinander. Dies kann jedoch meiner Meinung nach nur für einen eingeschränkten Zeitraum zutreffen, in dem wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen, der Reifegrad des Kernprodukts und technologische Entwicklungen innerhalb des Wettbewerbs übereinstimmen. Eine solche „Symbiose" wird jedoch vermutlich in den wenigsten Fällen zutreffen. Politische Situationen verändern sich kontinuierlich und beeinflussen die Märkte. Es finden stets Veränderungen der Wettbewerbssituation aufgrund technologischer Entwicklungen statt. Aus diesem Grund ist es sowohl für bestehende Unternehmen als auch für Start-ups relevant, sich mit der Unternehmenskultur auseinanderzusetzen und zu reflektieren, welche Haltungen und Verhaltensweisen im Unternehmen gelebt werden sollen und welche der aktuellen Marktsituation angemessen sind, um die Wettbewerbsfähigkeit positiv zu beeinflussen. Gerade bei Neugründungen gibt es viele Herausforderungen: Finanzierungen, Entwicklung von Prototypen, erste Marktreife – wo bleibt da die Zeit für eine Unternehmenskultur? Wann ist der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken? Ich denke, die Unternehmenskultur wird bereits zum Zeitpunkt der Gründung durch die Rahmenbedingungen der Märkte beeinflusst. Es macht daher durchaus Sinn, sich mit der aktuellen Situation innerhalb und außerhalb des Unternehmens auseinanderzusetzen. Dabei sollte reflektiert werden, welche strategischen Ziele das Unternehmen verfolgt und welche Kultureigenschaften bei den Mitarbeitenden gewünscht sind, die dazu beitragen, die Unternehmensziele zu erreichen. An dieser Stelle gibt es kein „richtig oder falsch", denn jedes Unternehmen kann je nach Branche unterschiedlich strukturiert und aufgebaut sein. Grundsätzlich lässt sich jedoch sagen, dass aufgrund des stetigen Wettbewerbs Agilität und kontinuierliche Prozessverbesserung für jedes Unternehmen, egal ob während oder nach der Gründung, eine elementare Rolle spielen. Diese Faktoren können durch die Unternehmenskultur maßgeblich beeinflusst werden. Es ist daher wichtig, die Rahmenbedingungen aktiv wahrzunehmen. Was ist für eine starke Unternehmenskultur nötig? Könntest du uns in ein paar konkreten Schritten erläutern, wie Gründer diese implementieren können? Zum Glück gibt es bei der Beurteilung von Kulturen kein „richtig" und kein „falsch". Es ist daher nur subjektiv zu beantworten, ob eine Unternehmenskultur stark ist. Relevant sind hierfür die Unternehmensziele und die notwendigen Kultureigenschaften. Diese sollten im Umkehrschluss mit den Verhaltensweisen und Haltungen der Mitarbeitenden übereinstimmen.  Die Frage, ob die gelebte Kultur für das Unternehmen eine „starke" Kultur darstellt, wird zudem selten gestellt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erkennen, ob und wie Differenzen ausgeprägt sind. Differenzen können sich beispielsweise beim Nichterreichen von spezifischen Zielen widerspiegeln, wobei dies in der Regel nicht allein auf die Kultur beschränkt ist. Differenzen zwischen der gewünschten und der tatsächlich gelebten Kultur können leichter erkannt werden, wenn der Soll-Zustand reflektiert wird: Wo möchte das Unternehmen in 2, 5 oder 10 Jahren stehen? Welches Verhalten und welche Haltungen der Mitarbeitenden werden hierfür benötigt? Die "Kulturdimensionen" nach Hofstede sind geeignete Ansatzpunkte, um eine erste Einschätzung durchzuführen. Dies kann bspw. im Rahmen einer Umfrage geschehen: Wie gehen wir im Unternehmen mit Hierarchien um? Duzen wir uns? Neigen wir dazu, Risiken einzugehen oder vermeiden wir diese? Eine Mitarbeiterbefragung kann helfen, den Ist-Zustand zu erfassen und die Angestellten gleichzeitig aktiv bei der Reflexion mit einzubinden. ​Hierdurch wird den Mitarbeitenden zudem das Gefühl vermittelt, dass ihre Meinung und ihr Verhalten für das Unternehmen wichtig und sie an der Ausrichtung der Unternehmenskultur beteiligt sind. Wurde der Ist-Zustand ermittelt und mit dem Soll-Zustand verglichen, müssen entsprechende Maßnahmen evaluiert werden, die dazu beitragen, die Unternehmenskultur positiv zu beeinflussen. Entscheidend sind hierbei die Geschäftsleitung und das obere Management, die ihre Haltungen und Verhaltensweisen über die Führungskräfte an die Mitarbeitenden weitertragen und beim Umsetzen der Maßnahmen eine Vorbildfunktion einnehmen. Eine moderne Unternehmenskultur ist ja oftmals eher mitarbeiterzentriert. Wie geht das mit einer produkt-/ideenorientierten Kultur in jungen Start-ups zusammen? Ich glaube, da gibt es keinen signifikanten Unterschied. In meinen Augen ist der Erfolg eines Start-ups oder eines bestehenden Unternehmens grundsätzlich von den Mitarbeitenden abhängig. Es besteht daher in beiden Fällen immer die Schwierigkeit, dass sich Arbeitsbedingungen, Priorisierungen, das Umfeld oder Ziele schnell verändern können. Problematisch ist in meinen Augen, dass wir Veränderungen nicht umgehend akzeptieren, da wir zumeist verstehen wollen, was zu einer Veränderung geführt hat und warum diese notwendig ist. Ein gutes Change-Management berücksichtigt daher bei der Kommunikation mit den Mitarbeitenden die Gründe und Auslöser von Veränderungen. Schließlich sollte sich das gesamte Unternehmen als Team wahrnehmen und die gleichen Ziele verfolgen. Jeder von uns ist Teil eines solchen Teams und möchte, dass das Erreichen von Zielen auch gefeiert und wertgeschätzt wird. Wie analysiert man als Gründer bestehende Prozesse in seinem Start-up richtig? Gerade hier kommen ja oftmals die Themen „Betriebsblindheit“ und ein starker Fokus auf die Entwicklung der Geschäftsidee dazu. Es ist generell wichtig, Prozessanforderungen zu formulieren und mit Hilfe von KPIs zu überwachen und zu steuern. An dieser Stelle ist entscheidend, dass die KPIs die „wahren Bedürfnisse" der Prozessanforderungen erfüllen. Da spielt es vermutlich keine Rolle, ob es sich um ein Start-up oder um ein bestehendes Unternehmen handelt. Sofern relevante Geschäftsprozesse jedoch aufgrund der Unternehmensentwicklung (noch) nicht durch KPIs gesteuert werden, unterliegen Prozessprobleme vermutlich zumeist Gefühlen wie Unzufriedenheit oder Demotivation. Das Ergebnis kann sein, dass die Routine ständig durch Priorisierungen und „Firefighting“ geprägt ist. Hierbei ist es wichtig, das Gefühl erst einmal bewusst wahrzunehmen und anhand von Daten messbar zu machen. Fragen wie „Welcher Prozess läuft schlecht?" und „Was sind meine Anforderungen an den Prozess, damit ich zufrieden bin?" werden z. B. im Rahmen von Lean Sigma strukturiert erörtert. Hierbei handelt es sich um anerkannte Managementpraktiken, um Ziele klar zu formulieren, Probleme messbar zu machen, datenbasiert zu analysieren, zu verbessern und relevante KPIs zu entwickeln. Eine Belegschaft sollte daher auch mit Begriffen des Lean Managements wie z.B. "TIMWOOD" vertraut sein und für Prozessverbesserung sensibilisiert werden. Wie bereits erwähnt, wird die Voraussetzung hierfür durch die Geschäftsleitung und das obere Management geschaffen. Die Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist aus meiner Sicht auch eine sehr wertschätzende Maßnahme, um Verbesserungen im Unternehmen anzustoßen und zu fördern. Betriebsblindheit tritt meiner Einschätzung nach zumeist in Organisationen auf, in denen mangelhaft kommuniziert, keine kontinuierliche Verbesserung praktiziert und die Fehlerkultur negativ beeinflusst wird. Um Oakland und Tanner zu zitieren: „Most people start work for an organisation with positive attitudes and behaviours and it is frequently the systems and environment that cause problems and deterioration“ (Successful Change Management, 2007). Wir sollten daher niemals vergessen, dass wir alle Menschen sind und Träume und Ziele verfolgen. Dies treibt uns an! Es liegt daher in unserer Natur, dass wir uns in Gruppen organisieren, um mithilfe kontinuierlicher Verbesserung unsere Ziele zu erreichen. Schließlich können wir dann gemeinsam Erfolge feiern. 

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